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Echtes Zuhören – ein Zaubermittel für Familien

Ist es nicht spannend, wie viele Angebote und Tipps es zum Thema „Reden“ gibt? Und ist dir mal aufgefallen, dass es nur sehr wenige Angebote gibt zum Thema „Zuhören“?

Dabei gibt es doch deutlich mehr Zuhörer als Redner, oder? Wenn ich so in Vorträgen sitze, kommt es mir zumindest so vor, da kommen doch glatt mehrere Hundert Hörer auf einen Redner, ein eklatantes Missverhältnis. Aber niemand bringt uns professionelles Zuhören bei, wieso nicht? Wir verbringen doch schon in der Schule einen Großteil der Zeit mit Zuhören, also zumindest theoretisch.

Vielleicht ist es nicht allgemein bekannt, dass Zuhören eine echte Kunst ist und dir das Leben und vor allem das Familienleben, sehr erleichtern kann, wenn du sie beherrschst. Es lohnt sich, mal einen Blick auf das Zuhören zu werfen:

Zuhören wie „Momo“

Besonders schön beschrieben ist das in dem Buch „Momo“ von Michael Ende, falls du das kennst.
Falls nicht, erzähle ich dir nur kurz, dass das Mädchen Momo ein Vagabundenkind ist und bei allen sehr beliebt, aufgrund einer einzigen Fähigkeit: Zuhören.
Ich zitiere hier mal aus dem Buch:
„Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. …Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß einfach nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie ihn ihm steckten. … Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden.“

Mal ehrlich: Das wollen wir auch!

Ja, ich weiß, ist ein Roman, aber dieser Teil ist realistisch, denn das funktioniert wirklich. Klingt doch, als könnten wir diese Fähigkeit für das Leben mit Kindern und Partnern sehr gut gebrauchen, oder? Vielleicht müssen wir unserem Jugendlichen keinen Rat geben, sondern ihm stattdessen ganz genau zuhören? Und können die Welt des Kleinkindes viel besser verstehen, wenn wir seinen Ausführungen genau folgen? Und vielleicht will mein Grundschulkind einfach nur verstanden werden mit seinen Emotionen? Wenn dann noch Mut und Ideenreichtum und Glück mit im Paket sind, dann her mit dieser Fähigkeit, meine ich.

Drei Dinge sind extrem wichtig

Wie geht das denn jetzt? Ein paar Anregungen gibt uns Michael Ende schon, denn Momo hört „mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme zu“. Also das, was man im Alltag oft macht, ein „hmm, hmm“, während der andere redet und dabei an die Besorgungen von morgen denken, das ist nicht gemeint. Mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme bedeutet, dass ich tatsächlich alles loslasse, was mir gerade im Kopf herumgeht und den Fokus voll auf mein Gegenüber lenke. Ja, voller Fokus.

Es bedeutet sogar, dass ich auch meine eigenen Meinungen loslasse, so lange ich zuhöre. Wenn ich sie wirklich loslasse beim Zuhören und mich mit vollem Herzen auf den anderen konzentriere, dann kann es sein, dass sich auch Meinungen ändern, weniger hart werden und eine Sanftheit eintritt. Das passiert nur sehr selten, wenn ich an meiner Meinung festhalte, während der andere spricht. Dann ist das Sprechen des anderen nur eine Pause in meiner Argumentation, und ich warte ungeduldig, bis ich wieder dran bin.

Das kann man beim Streiten sehr schön beobachten, am besten bei sich selbst. Kennst du das, wenn du unbedingt deine Argumente durchbekommen möchtest? Es ist dir fast egal, was der andere sagt, du untersuchst es höchstens auf mögliche Löcher in der Argumentation und prüfst, wo du einhaken kannst. Wie du die Meinung des anderen widerlegen kannst, ist dabei dein einziges Ziel. Das ist nicht das Zuhören, von dem ich hier spreche. Bestimmt sinnvoll für Gerichtsverhandlungen, aber hier nicht gemeint – wir wollen ja, davon gehe ich mal aus, mehr Nähe und Verständnis und Frieden herstellen.

Warum Zuhören nicht nur über die Ohren funktioniert

Zweitens benutzt Momo auch ihre Augen beim Zuhören, ihre „großen, dunklen Augen“. Das ist ein weiterer wichtiger Hinweis, denn wie du ja wahrscheinlich weißt, kommunizieren wir einen sehr hohen Prozentsatz nicht über die gesprochene Sprache, sondern über die Körpersprache. Also schau genau hin, was wirklich gesagt wird. Welche Emotionen werden ausgedrückt? Wie verändert sich die Mimik und Gestik?

Vielleicht hast du schon von „Micro Expressions“ gehört? Das sind winzige Momente, in denen die Mimik universal in allen Kulturen die sieben Basis-Emotionen Freude, Angst, Wut, Ärger, Trauer, Ekel und Überraschung ausdrückt. Diese Mikroausdrücke sind so schnell, dass du sie bewusst nur mit sehr viel Übung wahrnehmen kannst. Aber unbewusst erkennst du sie.

Bestimmt kennst du das Gefühl, dass das Gesagte irgendwie nicht zu deinem Gefühl passt. Da versichert dir jemand, dass er sich total wohl fühlt, aber du nimmst intuitiv die Trauer dahinter wahr. In der Regel kannst du dich dabei auf deine Intuition gut verlassen, die ist meist schlauer als dein Kopf.

Wichtig ist hier aber schon wieder, dass du zuerst deine eigene Meinung zu dem Geschehen loslassen musst. Sonst siehst du nur das, was du schon zu wissen glaubst. Das ist nicht deine Intuition, sondern deine Überzeugung. Das fühlt sich mit ein bisschen Übung ganz anders an, vielleicht kannst du es jetzt schon im Körper wahrnehmen. Intuition und damit Achtsamkeit macht dich innerlich weit und bringt durch echtes Zuhören sofort mehr Frieden in die Situation. Eine Überzeugung führt eher zu einem weiteren Austausch von Argumenten, mit mehr oder weniger Emotionen.

Und drittens: Der ganze Rest

Du müsstest also drittens deinen ganzen Körper in das Zuhören mit einbeziehen. Dafür brauchst du kein Seminar über Körpersprache, das dir beibringt, wie „Offenheit“ von außen aussieht. Sondern einfach nur dein Interesse und den Wunsch, jetzt wirklich zuzuhören.

Wusstest du übrigens, dass verschränkte Arme vor dem Körper nicht bedeuten, dass derjenige sich „zumacht“ und nicht zuhören will? Das hat man lange geglaubt, aber neueste Erkenntnisse zeigen, dass verschränkte Arme genauso gut bedeuten können, dass ich gut zuhören will und mich ganz darauf einstelle, dass ich in den nächsten Minuten nicht handeln werde. „Brauche Arme jetzt nicht“, drücke ich damit also lediglich aus.

Stell dir vor, dass du ein großes Instrument bist, eine Art Resonanzboden für die Stimme und das Sein deines Gegenübers. Du kannst die Stimme nicht nur in deinen Ohren hören, du siehst nicht nur das Bild des anderen dazu, du nimmst noch die dritte Ebene, dein ganzes Sein mit hinein.

Hören, sehen, spüren.

Wenn du so zuhörst, dann weißt du, wie Momo zuhört. Und du kannst tatsächlich dieselben Effekte damit herstellen. Neue, kluge Gedanken entstehen bei deinem Gegenüber. Gefühle ändern und beruhigen sich. Innige Verbindung entsteht.

Jeder Mensch will einfach nur verstanden und wahrgenommen werden.

Warte nicht darauf, dass jemand dich endlich versteht und wahrnimmt. Fang einfach selbst damit an. Was du in das Leben hineingibst, kommt tausendfach zu dir zurück. Glaub mir, das ist ein mächtiges Instrument für deinen Alltag. Du kannst dein Gegenüber durch deine Art des Zuhörens zum unsicheren Stammeln bringen oder ganz wunderbare Gedanken in ihm entstehen lassen.
Und nebenbei bemerkt ist Zuhören ein total unterschätztes Vergnügen.

Wie deine Kinder davon sofort profitieren

Du ahnst es schon: Am allerbesten reagieren deine Liebsten auf diese Art des Zuhörens. Mit deinem Partner, egal in welcher Phase ihr euch befindet, kannst du ein ganz neues Level des Verstehens erreichen. Du erfährst neue Dinge, egal wie lange Ihr euch schon kennt und Gefühle beruhigen sich. Falls du das Gefühl hast, etwas sagen zu müssen, dann kannst du einfach zusammenfassen, was du bis jetzt verstanden hast, aber dabei nichts von dir selbst dazu zu tun – ein Zaubermittel für Missverständnisse und Streitigkeiten.

Für Kinder, egal welchen Alters, ist das oft die einzig notwendige „Maßnahme“, um Dinge zu ändern. Ich habe gar keine Lust, es „Maßnahme“ zu nennen, weil es eben das genau nicht ist. Sondern es geht darum, dein Kind als echten, gleichwertigen Menschen wahrzunehmen, ungeachtet des Alters. Irgendwie treffen wir uns bei dieser Art des Zuhörens auf der gleichen Ebene.

Dein Kind will nur verstanden und wahrgenommen werden, wie jeder Mensch, ob du nun ein Kleinkind, das nicht einschlafen kann, vor dir hast oder einen unwilligen Jugendlichen, hör einfach genau zu.

Versuche zu verstehen, fass zusammen, was du verstanden hast und sei offen für Anpassungen deines Gegenübers. Das, was aus allen Beziehungen den Zauber herausnimmt, ist das Gefühl, den anderen zu kennen und schon zu „wissen“, was jetzt kommt. So kann nur schwer etwas Neues entstehen, denn Neues entsteht nur außerhalb von festen Meinungen. Neues braucht Freiraum.

Ich verspreche dir eine grundlegend verbesserte Beziehung, wenn du deine Idee von Erziehung oder das Besserwissen um Dinge – nur weil du der Erwachsene bist, – loslässt und einfach zuhörst.

Ehrlich gesagt hatte ich einige meiner besten philosophischen und spirituellen Gespräche mit Kindern unter sechs Jahren. Wenn man wirklich voller Anteilnahme und ohne Ziel oder Bewertung zuhört, kann man da ganz erstaunliche Dinge zu hören bekommen.

Zuhören für dich selbst: Als Abkürzung in den Augenblick

Du kannst absolut allem Zuhören. Achtsamkeit über die Ohren ist in jedem Moment möglich.
Hör dem Wind zu, den Bäumen, den Vögeln, dem Wasser, was du willst.

Vielleicht denkst du, du musst, um in den Augenblick zu gelangen, nach innen gehen und alles Äußere so weit wie möglich ausschließen? Dieses hier ist die genaue Gegenbewegung und ich sage dir, das funktioniert mit einiger Übung prächtig und ist extrem tauglich für den Familienalltag.
Du versuchst einfach, gar nichts auszuschließen, sondern machst dich innerlich weit und hörst allem zu, was gerade um dich herum stattfindet.

Probiere es doch jetzt gleich einmal.

Werde innerlich leise.

Geh dir selbst aus dem Weg und lass deine Meinungen und Pläne los. Du kannst sie später wieder aufnehmen, solltest du sie noch brauchen.

Was hörst du?

Kannst du mit Ohren, Augen und dem gesamten Körper zuhören?

Kannst du die Geräusche nacheinander und, wenn du dich noch mehr auf Empfang einstellst, alle gleichzeitig wahrnehmen, so dass sie sich zu dem einen Moment verbinden?

Können die Geräusche eine Resonanz in deinem Körper erzeugen?

Oder ist es gerade ganz still um dich herum? Um der Stille zuzuhören, musst du selbst noch stiller als sie sein. Dann spürst du ihren Reichtum und die Tiefe in ihr.

Genieße es einfach noch eine kleine Weile.

Noch ein paar Praxistipps

Falls du diese Art des Zuhörens noch nie praktiziert hast, dann fang am besten mit Naturgeräuschen an. Es ist meist leichter mit Naturgeräuschen als mit Menschengemachtem. Vielleicht fängst du bei einem Spaziergang mit Wind in den Bäumen und den Vögeln an das Zuhören zu üben.
Beziehe auch deinen Körper mit ein, wie oben erwähnt, als dein Resonanzinstrument.

Beginne nicht im größten Alltagstrubel, das erfordert wirklich sehr viel Übung.

Beginne in kleineren, ruhigeren Situationen. Vielleicht kannst du noch andere sinnliche Erfahrungen dazunehmen, deine Körperbewegungen oder Berührungen? Probiere es aus, es lohnt sich.

Und bitte überfordere dich nicht und versuche es nicht in stressigen Momenten, sondern zuerst in den kleinen, feinen, ruhigeren. Abends beim Einschlafen ist eine der besten Situationen mit Kindern.

Falls das Wort „Zuhören“ bei dir eine negative Emotion hervorbringt, vielleicht hast du zu oft ein „nie hörst du zu“ oder „hör jetzt gefälligst zu“ gehört, ersetze dann den Begriff durch „lauschen“. Der ist meist nicht negativ besetzt und drückt eigentlich auch besser aus, was Zuhören sein sollte: Ein intensives Lauschen.

Pssssst…. werde innerlich still und lausche.

Und teile uns gerne deine Fragen und Erfahrungen dazu mit… wir hören zu

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